Facts
PhDr. Henning Ahlert
01.07, 2024
Consulting
8 Min
Schöne neue Welt – aber die alten Probleme…
Die Idee zu diesem Artikel entstand heute spontan, während ich mir ein Webinar eines Chatbot Anbieters angesehen habe. Der vorgestellte Use Case, gemeinsam mit einem Auftraggeber des Anbieters vorgeführt, war inhaltlich beeindruckend und zeigte die Funktionsweise, die Lernfähigkeiten und die Ergebnisse des Bot(einsatzes) von der Projektierung bis in den laufenden Betrieb anschaulich auf. Mehr als 70% der im Chatbot bearbeiteten Fälle würden auch durch diesen zufriedenstellend für die Kunden abschließend durch den Bot bearbeitet, ein geringer Teil benötigt eine manuelle/persönliche Weiterbearbeitung durch einen Kundenberater. So weit, so verständlich. Auf die Frage eines Webinar-Teilnehmers nach den Möglichkeiten der Weiterbearbeitung wurde durch den Chatbot Anbieter empfohlen, so wie es die meisten ihrer Auftraggeber tun würden, die Chatbot-Ergebnisse in einer E-Mail an den persönlichen Support zu übergeben. An dieser Stelle zuckte ich zusammen und meine Gedanken zu dem Thema entwickelten sich.
Aus Kundensicht (wenigstens aus meiner) sähe die ideale Reise doch eigentlich wie folgt aus: Der Kunde besucht die Webseite des Anbieters und bekommt gerne die Möglichkeit angeboten, mit einem Chatbot sein Anliegen zu klären. Der Kunde wählt den Weg der Klärung über den Chatbot in der Annahme und Erwartung, dass dieser sein Anliegen lösen kann. Wenn das nicht mit einer Erstlösung möglich ist, was, wie auch im persönlichen Chat oder Telefonat mit einem Kundenberater, immer sein kann und wofür der Kunde im Zweifel Verständnis aufbringen wird („niemand, auch nicht der Bot, kann alles wissen“), dann ist die Erwartungshaltung doch allerdings, dass der Chatbot an einen Live Chat mit einem Kundenberater übergibt und nicht eine E-Mail erzeugt, die dann in eine Bearbeitungsqueue mit möglichem Zeitversatz bis zu einer möglichen Antwort geleitet wird… So wenigstens ist meine Kundensicht.
Natürlich kann es sein, dass für den persönlichen Live Chat gerade kein Kundenberater zur Verfügung steht, um den Kontakt zu übernehmen. Dann allerdings könnte dem Kunden die Situation ehrlich angezeigt werden, nämlich dass es momentan leider etwas dauern kann, bis ein Mitarbeiter den Kontakt vom Bot übernimmt und ihm alternativ die automatisierte Weitergabe als E-Mail angeboten werden, um später zu ihm Kontakt aufzunehmen. Grundsätzlich aber sollte dem Kunden doch über das gleiche Medium, Chat, eine weitere sofortige Bearbeitung durch einen Kundenberater angeboten werden und nur im beschriebenen Fall mit längerer Wartezeit oder als Option, welche der Kunde alternativ selbständig wählen kann, z.B. ein Call Back oder eben die E-Mail-Weiterleitung offeriert werden – aber die Auswahl trifft der Kunde selbst.
Ich fühle mich bei dem Beispiel nicht an eine Reise aus Sicht der Kunden erinnert, sondern vielmehr an ein seit Jahren immer wiederkehrendes Phänomen im Kundenservice, egal ob über persönlich oder automatisiert bediente Kanäle. Es wird versucht, möglichst viele Anliegen von Kunden über verschiedenste Kanäle zu beantworten bzw. zu bearbeiten, entweder persönlich oder automatisiert, natürlich mit dem Wunsch nach einer hohen Lösungsquote. Dann schlägt allerdings immer wieder das Kosten- und Ressourcenphänomen zu: Persönlich bearbeitete Kontakte sollen möglichst schnell bearbeitet werden und automatisiert bearbeitete Kontakte helfen schon einmal per se, Ressourcen und damit Personalkosten zu sparen. Wenn die Lösungsquote stimmt und dadurch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch die Kundenzufriedenheit nicht schlecht ist, sind die positiven Fälle („Anliegen des Kunden gelöst“) aus Sicht der Serviceorganisation prozessual „ordentlich gelaufen“. Dass aber gerade bei den nicht sofort gelösten Fällen das Kundenerlebnis mit dem Service nicht beendet ist, sondern nun erst richtig losgeht und mitunter kniffelig werden kann, wird immer wieder beim Design einer lückenlosen und durchgängigen Servicereise vergessen.
In Zeiten omnipräsenter Kanäle und zunehmend automatisierter Bearbeitungsmöglichkeiten der Kundenanliegen, sollten die den Kunden angebotenen und dann von den Kunden gewählten Kommunikationswege auch durchgängig und ohne erzwungenen Kanalwechsel im Sinne der Kundenreise durchgängig durchdacht und umgesetzt werden. Ansonsten bleiben Kanalsilos (egal ob persönlich oder automatisiert bedient) und eine tolle automatisierte Bearbeitung erledigt auch nach dem 80/20 Prinzip zwar 80% mit hoher Wahrscheinlichkeit sofort, während die 20% bedroht sind, in langwierige Bearbeitungsschleifen mit Kanalwechseln zu laufen oder unzufrieden aufzugeben.
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